24.02.2016

DIE KRUX MIT DER TEILENTLADUNG

Isolationsspannung, Prüfspannung, Teilentladung oder Isolationsfestigkeit – alles Begriffe, mit denen der Entwicklungsingenieur immer wieder konfrontiert wird. Aber was sind die Zusammenhänge und letztlich die für den Entwickler maßgeblichen Aspekte und relevanten Angaben?

 

Von Werner Bresch, Tobias Gmelin und Erik Rehmann, GVA Leistungselektronik GmbH

Bei den meisten elektronischen Komponenten, welche in leistungselektronischen Systemen Verwendung finden und neben der gewünschten Funktion unterschiedliche elektrische Potentiale sicher sowie zuverlässig voneinander isolieren müssen, findet man im Datenblatt der Hersteller Angaben zur sogenannten Isolationsspannung. Diese wird oft in der Form einer Angabe der Isolierspannung, z. B. „Uiso = 4 kV AC“, und einer definierten Prüfzeit, zumeist „für 60 s“, angegeben. Dieser Parameter soll dem Entwicklungsingenieur eine Hilfestellung für die Entscheidung geben, ob das Bauteil für die jeweilige Anwendung im Hinblick auf die Isolationsfestigkeit geeignet ist. Dazu muss der Anwender allerdings wissen, wie diese Information zu interpretieren ist, beziehungsweise erst einmal die grundlegenden Zusammenhänge und das Vorgehen zur sinnvollen Auslegung von Isolationsstrecken und Prüfspannungen kennen.
 

Für die Erstellung einer Isolationskoordination für ein leistungselektronisches System gelten in der Regel zunächst einmal die Grundnormen IEC 60664-1 („Isolationskoordination für elektrische Betriebsmittel in Niederspannungsanlagen – Teil 1: Grundsätze, Anforderungen und Prüfungen“) für Betriebsspannungen 1000 Vac bzw. 1500 Vdc und IEC 60071-1 („Isolationskoordination – Teil 1: Begriffe, Grundsätze und Anforderungen“) für Hochspannungsanwendungen. Die Anwendung dieser Normen wird dann in entsprechenden Produktnormen (z. B. DIN EN 61800-5-1 für elektrische Leistungsantriebssysteme) näher beschrieben. Existiert keine Produktnorm für die betrachtete Anwendung, kann zur Festlegung der Anforderungen an die Isolation auch mit der jeweiligen Grundnorm gearbeitet werden.
 

Unter Zugrundlegung dieser Normen würde sich der Ablauf zur Erstellung einer Isolationskoordination nach DIN EN 61800-5-1 unter Beachtung der dort definierten Bedingungen in etwa so darstellen:

  • Einteilung des betrachteten Systems in relevante Stromkreise
  • Festlegung der Schutzanforderungen für die einzelnen Stromkreise auf Basis der maßgeblichen Spannungsklassen bzw. Arbeitsspannungen
  • Festlegung der Stoßspannung auf Basis der Systemspannung (dies berücksichtigt Schaltungs- und Netzeigenschaften) und zutreffender Überspannungskategorie
  • Dimensionierung von Luft- und Kriechstrecken unter Berücksichtigung von Verschmutzungsgrad und eingesetzter Isolierstoffgruppe
  • Festlegung der Prüfspannungen für:

 

Stoßspannprüfung

  • Typ- und Stichprobenprüfung
  • Mit Impulsen 1,2/50 s
  • Nachweis, dass die Luftstrecken ausreichende Spannungsfestigkeit gegen Überspannungen atmosphärischen Ursprungs und durch Schaltvorgänge in Ausrüstungen besitzen

 

Wechsel- oder Gleichspannungsprüfung (Stehspannungsprüfung Uiso)

  • Typ- und Stückprüfung
  • Minimale Dauer 1 s (typisch 10…60 s)
  • Nachweis, dass die Luftstrecken und die festen Isolierungen der verwendeten Komponenten sowie des komplett aufgebauten Systems eine ausreichende Spannungsfestigkeit gegen Überspannungen besitzen

 

Teilentladungsprüfung

  • Typ- und Stichprobenprüfung
  • Gemäß IEC 60664-1
  • Nachweis, dass in Komponenten und Unterbaugruppen zur sicheren Trennung von Stromkreisen verwendete feste Isolierung innerhalb des festgelegten Spannungsbereiches keine Teilentladungen aufrechterhalten bleiben

 

Während der Entwicklungsingenieur innerhalb seiner leistungselektronischen Systementwicklung bezüglich Gestaltung der Luft- und Kriechstrecken sowie den verwendeten Isolationsmaterialien innerhalb der Normenvorgaben weitestgehende Gestaltungsfreiheit hat, hat er diese bei leistungselektronischen Komponenten wie z. B. Leistungshalbleitermodulen, Strom- und Spannungssensoren, IGBT-Treibern sowie Hilfsspannungsversorgungen nicht mehr. Die Isolationseigenschaften solcher Komponenten sind durch das Design und die Wahl der Isolationsmaterialien seitens des Herstellers bestimmt. Dieser weist die Isolationsfestigkeit üblicherweise im Rahmen einer Wechsel- oder Gleichspannungsprüfung Uiso nach.

 

Eine solche Wechsel- oder Gleichspannungsprüfung Uiso ist dabei als eine Überprüfung der ordnungsgemäßen Komponenten-Montage anzusehen, um nachzuweisen, dass die erforderlichen Luftstrecken im Innern der Komponenten während der Herstellung eingehalten wurden. Sie gibt aber keinesfalls Auskunft darüber, mit welcher Spannung das Bauteil oder das System im Betrieb beansprucht werden darf! Da es bei der Typprüfung mit der im Datenblatt angegebenen Wechsel- oder Gleichspannungsprüfspannung Uiso bereits zu Voranschädigungen der Isolationsfestigkeit durch Teilentladung kommen kann, empfiehlt die Norm, dass Wiederholungsprüfungen nur mit maximal 80 % der festgelegten Prüfspannung erfolgen sollten. Im Grunde genommen weist die Wechsel- bzw. Gleichspannungsprüfung Uiso somit lediglich nach, dass die so geprüfte Komponente die angegebene Prüfzeit überstanden hat.
 

Für die Dauerfestigkeit einer Isolierung ist also eher das Teilentladungsverhalten entscheidend, da die Teilentladung eine Feststoffisolierung bereits innerhalb kurzer Zeiträume schwächen und schädigen kann, sodass es am Ende zu einem Durchschlag kommt. Das Ziel einer stabilen Auslegung eines Isolationssystems, sowohl bei Komponenten als auch bei Systemen, ist also die garantierte Teilentladungs-Freiheit in allen Betriebspunkten. Das Bestehen der Stehspannungsprüfung Uiso kann wiederum nicht sicherstellen, dass im Betrieb unter den schlechtesten anzunehmenden Randbedingungen (höchste dauernd anliegende Spannung, zeitweilige Überspannung, periodische Spitzenspannung) keinerlei Teilentladungen auftreten. Somit ist die in der Regel vom Komponenten-Hersteller nicht weiter kommentierte Angabe einer „Isolationsspannung“ im Datenblatt kein zuverlässiger Hinweis, geschweige denn Nachweis, dass die dauerhafte Spannungsfestigkeit für den Betrieb bei dieser Spannung unter spezifischen Randbedingungen gegeben ist.
 

Die von GVA entwickelten Hilfsspannungsversorgungen IPSS oder GPSS geben aus diesem Grund als Isolationsspannung Uiso auch die Prüfspannung „teilentladungsfrei“ an. Dies hilft letztlich dem Entwicklungsingenieur am besten ein für seine Anforderungen geeignetes Produkt auszuwählen und sich nicht nach geraumer Zeit mit Produktausfällen beschäftigen zu müssen.

 

Foto 1
Hilfsspannungsversorgungen wie das „Inductive Power Supply System (IPSS)“ von GVA weisen Prüfspannungen sinnvollerweise teilentladungsfrei aus
 

Foto 2:
Beim IPSS sorgen die auf den Steuerplatinen integrierten Auskoppeleinheiten für die induktive Übertragung der notwendigen Leistung

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